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Vorzeige-Bauer Lars Odefey: „Die Deutschen heroisieren ihre Bauern – und kaufen dann bei Aldi“

Berlin erwartet den Höhepunkt der Bauernproteste. Der bekannte Geflügelzüchter Lars Odefey hat sich bewusst entschieden, nicht zu demonstrieren. Im Interview erklärt er warum – und spricht über die wirklichen Herausforderungen der Landwirtschaft.

Herr Odefey, Sie gelten als wegweisender Landwirt. Zu den Bauernprotesten haben Sie bewusst Abstand gehalten. Warum?
Lars Odefey: Ich habe zwei, drei Tage überlegt, wie ich zu den Protesten stehe und wie ich mich positionieren soll. Dabei habe ich meine vergangenen Jahre reflektiert, wie ich den Hof von meinen Eltern übernommen und mich 2017 selbständig gemacht habe. Dabei ist mir erst bewusst geworden, dass es für mich keinen Grund für Protest gibt. Die dubiosen, teils rechten Gruppen, die nun versuchen, die Bewegung für sich zu vereinnahmen, haben mich zudem abgestoßen. Wie man mit Robert Habeck umgegangen ist, gehört sich einfach nicht. Wir leben in einem demokratischen Land, ein vernünftiger Diskurs muss Basis für jede Auseinandersetzung bleiben.

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Haben Sie dennoch Verständnis für die Wut vieler Bauern ?
Klar, wir sind in Uelzen, Agrarlandschaft pur, umringt von Ackerbaubetrieben. Viele Kollegen und Kolleginnen, darunter echte Freunde, sind stark betroffen. Mir ist bloß das Ausmaß nicht verständlich, ein ganzes Land zu blockieren, volkswirtschaftlichen Schaden zu verursachen. Das erscheint mir nicht verhältnismäßig. Zumal die „grüne Nummer“ vom Tisch ist, die Kfz-Steuer wird nicht mehr gestrichen, auch die Abschaffung der Agrardiesel-Subvention kommt nicht sofort. Wir reden also von 7 oder 8 Cent pro Liter Diesel, die man weniger bekommt. Es muss also grundsätzlicher Frust vorhanden sein, sonst würde es mit den Demos nicht derart massiv weitergehen.

Es muss  grundsätzlicher Frust vorhanden sein, sonst würde es mit den Demos nicht derart massiv weitergehen“

Seit etwa 15 Jahren schwenkt die Agrarpolitik zunehmend Richtung nachhaltiger Landwirtschaft. Umweltschutz und Tierschutz sind wichtiger geworden, es gibt strengere Düngeregeln, Flächenstilllegungen, Pflanzenschutzmittel sollen reduziert werden. Trotzdem gilt der Einfluss der Bauern-Lobbyisten als überdurchschnittlich. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Mich erinnert es an die Automobilbranche, die ja auch deshalb einflussreich ist, weil sie als essenzielle Branche der deutschen Wirtschaft gilt. Leider schaden Lobbyisten ihren Klientelen, wenn sie Veränderungen blockieren. Bauern und Autobauer verbindet, dass die Deutschen diese Branchen verklären. 

Sehen Sie im Video: Lindner schreit bei Bauernprotest gegen Buh-Rufe an.

Ingenieure und Bauern als Protagonisten einer deutschen Neo-Romantik?
Ich glaube schon. Das schwingt seit Langem in der deutschen Seele mit, diese Liebe zur Natur, dem Echten und Heroischen des Ackermannes, der sich die Hände schmutzig macht. Erde, Pflanzen, Wald. Ich glaube, dass die große Befürwortung der Bauernproteste, die es in der Bevölkerung gibt, daher rührt. Ich war vor einigen Tagen bei der Fußpflege und belauschte zwei Damen, die mit dem SUV gekommen waren, die sich unterhielten: Toll unsere Bauern, endlich stehen sie mal zusammen, hieß es da. Ein großer Teil der Probleme rührt daher, dass die Deutschen ihre Bauern heroisieren, aber dann doch bei Lidl oder Aldi die billigsten Produkte kaufen. Die Macht der Handelsunternehmen und die Rolle der Verbraucher und Verbraucherinnen ist ein Thema, das in der aktuellen Debatte viel zu wenig Beachtung findet. 

Bauernproteste Berlin Montag

Mit der Lebens- und Arbeitsrealität der Landwirte hat diese Romantik wenig zu tun. Viele Verbraucher denken trotzdem immer noch, dass im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt.
Verzeihung, da muss ich lachen. Das ist natürlich auch der Erfolg der Werbung, diese glücklichen Kühe vor Alpenpanorama auf jeder Milchpackung, das hat mit der Realität nichts zu tun. Das ist ein harter Job, das sind teils hochverschuldete Familienbetriebe, die nicht sehr gut dastehen, abhängig von Subventionen und den Großkonzernen, die die Preise drücken. Gleichzeitig gehen bei uns die Auflagen immer höher, die globalisierte Marktliberalisierung erzeugt neuen Druck aus dem Ausland. 

Klingt nach guten Gründen, um zu protestieren, oder?
Durchaus, die Adressaten sind möglicherweise die falschen. 

In Holland machen die das, da wird die Kacke vor Aldi-Filialen gekippt.“

Warum stehen all die Trecker also vor dem Kanzleramt und nicht vor den Firmenzentralen von Aldi, Lidl, Edeka oder Rewe?
Das ist die Frage. In Holland machen die das, da wird die Kacke vor Aldi-Filialen gekippt. Ich bin nicht der Bauernverband, das müssen Sie die fragen. Ich will die Vergangenheit nicht idealisieren, aber früher kannte man seine Bauern, man kannte jemanden, der dort beschäftigt ist. Heute spielt der Agrarsektor volkswirtschaftlich keine sonderliche Rolle mehr. Zwei Prozent der Jobs, drei der Wertschöpfung sind heute noch aus der Landwirtschaft. Das ist natürlich ein Problem, die Landwirte ackern noch mehr, verschulden sich, bauen noch eine größere Halle für was auch immer – und es hilft nichts. Alles ist hypereffizient und trotzdem nicht zielführend. Ein Kilo Kartoffeln kostet bei Edeka 1 Euro, davon landen beim Landwirt wenn es gut läuft 15 bis 20 Cent, ein minimaler Anteil der Wertschöpfung. Das ist der Grund, weshalb wir auf Direktvermarktung gegangen sind.

In Österreich sind oft regionale landwirtschaftliche Produkte in Supermärkten bewusst ausgeschildert, um heimische Landwirte zu fördern. Warum klappt das in Deutschland nicht so gut?
Sie haben in fast jedem europäischen Nachbarland ein anderes Bewusstsein für Kulinarik und Produkte aus der Region. Die Deutschen kaufen nicht nur die teuersten Autos, sondern auch gerne die teuersten Küchen – aber beim Essen wird dann gespart. Ich habe drei Jahre im Einkauf von Abraham Schinken gearbeitet, das zum Schweizer Bell-Konzern gehört. Unser Plan war, eine eigene Tierwohl-Sparte für Wurst- und Schinken-Spezialitäten zu etablieren. Wir hatten bereits Bauern, die ihre Schweine nur auf Stroh halten, und sind losgezogen, um die großen Supermärkte dafür zu gewinnen. Weder Edeka noch Rewe noch Aldi waren interessiert, Bio muss reichen, hieß es dort. 

Es wirkt, als würden die Leute lieber über kulinarische Produkte, Regionalität und Bioprodukte fachsimpeln, als das Konzept auf ihren Einkaufszettel zu übertragen. 
Leider ist das so. Während der Pandemie hatte man den Eindruck, die Deutschen finden zur Kulinarik zurück, besönnen sich aufs Selberkochen, doch davon ist wenig geblieben. Viele Kollegen, die Bio-Produkte erzeugen, spüren das zurzeit empfindlich. Es wird zuallererst bei den Lebensmitteln gespart. 

Sehen Sie im Video: „Es gibt keine Kompromissbereitschaft“ – Politikwissenschaftler über die Bauernproteste. 

Warum ist das so?
Ich weiß es nicht, eigentlich sind wir ein sehr wohlhabendes Land. Es wäre wiederum an der Politik, vernünftige Ansagen zu machen. Es sollte keine 40.000er-Ställe mehr geben, sondern eine Beschränkung auf 1000 Tiere pro Stall…

…und tausende Bauern stünden vermutlich wieder in Berlin und würden dagegen protestieren.
Es bedürfte eines vernünftigen Maßnahmen-Bündels. Dazu gehört die entsprechende Aufklärung, aber auch eine Politik, die kleinere Betriebe fördert, nicht die landwirtschaftliche Großindustrie. Es wäre sinnvoller, Familienbetriebe zu unterstützen, also nicht jeden Hektar bei der Flächenprämie mit demselben Betrag zu begünstigen, sondern für die ersten 100 Hektar 750 Euro, ab 100 bis 200 Hektar noch 500 Euro, und so weiter. Ich sehe nicht, weshalb man Großgrundbesitzer mit über 10.000 Hektar, die meistens Konzernen und deren Investoren gehören, staatlich subventionieren sollte. Das Handwerk bräuchte Unterstützung, Metzgereien, Bäckereien, Ausbildung und Wissenstransfer – dafür gibt es keinen Topf. Für einen Betrieb wie den meinen gibt es beinahe nichts. Odefey & Töchter bekommt ausschließlich Flächenprämie – das sind 1800 Euro im Jahr. Davon kann ich nicht einmal eine Monatsrechnung Strom bezahlen. Ein kleiner Betrieb wie unserer, der auf Tierwohl achtet, wird in Deutschland praktisch nicht gefördert. 

Ihre Eltern hatten sich aktiv für die Landwirtschaft entschieden, sind aber letztendlich gescheitert. Was hat Sie bewogen, weiterzumachen?
Mein Vater war Quereinsteiger. Er kam aus der Unternehmensberatung und hat 1989 den Hof gekauft und ist Biobauer geworden, meine Mutter war Lehrerin. Damals waren sie etwa so alt wie ich heute. Er hat alles ausprobiert, Damwild, Erdbeeren, Gemüse, Kartoffeln, wir hatten alles Mögliche. Später kam er zur Geflügelzucht und belieferte, so wie ich heute, die Spitzengastronomie. 

War die Bio-Landwirtschaft für ihren Vater damals eine romantische Idee, oder hat er mit seinem Background als Unternehmensberater das wirtschaftliche Potenzial erkannt?
Natürlich, das war auch auf Erfolg und Wachstum ausgerichtet. Mein heutiges Wissen und meine Erfahrung kommen aus dieser Zeit, auch die Kontakte zur Gastronomie. Das Wichtigste war seine Erkenntnis, dass wir auf Direktvermarktung setzen. Er hat damals bereits Feinkost Käfer in München beliefert, namhafte Sterne-Restaurants wie Le Canard an der Elbchaussee oder Thomas Martin im Louis C. Jacob, Cornelia Poletto war eine seiner ersten Kundinnen. Als ich 18 war und meinen Führerschein hatte, war ich ständig am Ausliefern unseres Geflügels an diese Spitzenköche.

Warum haben Ihre Eltern schließlich resigniert?
Mein Vater hat alles ausprobiert, ständig Neues begonnen. Die Anfangsphasen sind aber die kostenintensivsten. Eine Marke aufzubauen, der eigene Lernprozess, das ist anstrengend und teuer. Außerdem war mein Vater ein Krawallmacher, er hat es sich mit vielen Leute verscherzt, hatte Probleme mit den Ämtern, mit den Nachbarn, Anfang der 2000er schlitterten sie schließlich in die Insolvenz.

Als ich 2013 meinen Geschwistern erzählte, dass ich den Hof übernehmen will, haben die entsetzt gesagt: Auf keinen Fall“

Das hat Sie selbst nicht abgeschreckt?
Als ich 2013 meinen Geschwistern erzählte, dass ich den Hof übernehmen will, haben die entsetzt gesagt: Auf keinen Fall, Du hast doch gesehen, wohin es führt. Ich hatte aber das Potenzial immer gesehen und mich oft gefragt, warum die Eltern dieses oder jenes nicht anders gemacht hatten, ich wollte es selbst versuchen. Außerdem war ich mir sicher, dass es auch wirtschaftlich funktionieren kann. Als erstes habe ich ein paar Wohnungen ausgebaut und vermietet, um die Fixkosten abzusichern. 

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Wie kalkuliert man eigentlich Tierwohl, wie viel darf vernünftige Haltung kosten?
Ich hatte zuvor bei der Strategieberatung „Grüne Köpfe“ in Berlin gearbeitet, wo wir viele Betriebe beraten haben. Ich komme aus einer Jägerfamilie, in der Tierwohl seit Generationen eine Rolle spielt, aber auch qualitative Fleischverarbeitung. Dieser Gedanke steckt bei uns in der DNA. Insofern waren für mich bestimmte Komponenten nicht verhandelbar, bestes Futter, beste Haltungsform, und hochwertige Tierarten. Wir haben unterschiedliche Hühnerrassen, Bresse Gauloise, Sulmtaler Huhn und Marans, Perlhühner, inzwischen auch wieder Enten.  

Wie bestimmen Sie das Maß an Tierwohl, das auch ökonomisch sinnvoll ist?
Es gibt verschiedene Bio-Richtlinien, an denen man sich orientieren kann, Demeter sagt maximal 3000 Hühner in einem Stall, die Bio-Verordnung erlaubt sogar bis zu 4800 Tiere, das französische Qualitäts-Label Rouge orientiert sich daran. Dass man die Tiere in so kleinen Gruppen wie bei uns hält, so dass man sie per Hand füttern kann, so etwas gibt es in Deutschland eigentlich nicht mehr. Wir haben uns dann auf eine Gruppengröße von 200 bis 350 festgelegt, es gibt unterschiedliche Größen der mobilen Ställe, der eine nimmt nur 100, der andere 250. Wichtig ist für uns, dass die Gruppen übersichtlich bleiben, dass wir jedes einzelne Tier kennen und so auch erkennen, wenn es einem nicht gut geht. Wir füttern von Hand, wir misten die Ställe von Hand aus, wir schlachten alle Tiere, die wir vermarkten, von Hand. Mittlerweile kann ich sagen, dass wir nicht unter 100 Tiere pro Gruppe gehen können, weil es dann zu kostenintensiv wäre und man gar kein Geld mehr verdienen würde. Alles über 1000 Hühner pro Stalleinheit wäre gegen meinen Anspruch.

Im Moment sind wie viele Tiere auf Ihrem Hof?
So um die 2000, aufgeteilt auf zehn Ställe. 

Der Hof des Geflügelzüchters Lars Odefey bei Uelzen am Rande der Lüneburger Heide.
© Hendrik Haase – Berlin

Wenn Cem Özdemir Sie als Agrarminister um Rat fragen würde, was würden Sie ihm raten?
Als erstes müsste die Gesprächskultur repariert werden, wir reden schon lange nicht mehr sinnvoll miteinander. An seiner Stelle würde ich einen Round Table einberufen, an dem auch die verarbeitende Industrie und der Handel Platz nehmen und sich endlich einmal erklären. Jemand sollte einmal zu Kaufland- und Lidl-Besitzer Dieter Schwarz sagen: Du bist einer der reichsten Deutschen, zahl doch mal zwei Cent mehr pro Liter Milch, das spürst Du nicht, für jeden Milchbauern sind es ein paar Tausender mehr im Jahr. Langfristig müssen wir uns auf den Klimawandel und den Verlust der Biodiversität ganz anders vorbereiten, sonst wird die nötige Transformation nicht gelingen. Wir stehen vor riesigen Umwälzungen, sind mit den nötigen Maßnahmen zu spät dran, und dann werden diese von der Politik nicht richtig erklärt. Indien ist zurzeit dabei, sich massiv von fossilen Energien zu entkoppeln und wird die EU und Deutschland im Klimaschutz überholen. Nur wenn es gelingt, Wohlstand von fossilen Energien zu entkoppeln, haben wir eine Chance.  

Am Montag sollen die Proteste ihren Höhepunkt auf der Straße des 17. Juni erleben. Worauf sollten die Bauern achten, um nicht endgültig von den Rechten vereinnahmt zu werden?
Das wird schwierig. Vereinnahmen klingt danach, als würde jemand ein Boot kapern. Aber so ist das nicht. Es gibt inzwischen massive rechte und rechtsextreme gesellschaftliche Strömungen, die natürlich auch unter den Landwirten Anklang finden. Viele Bauern sind bodenständig, traditionell wertkonservativ, aber vorwiegend offene und authentische Persönlichkeiten. Die sind keinesfalls rechter als andere. Man darf sich aber nichts vormachen, die Demokratie ist zurzeit einer großen Gefahr ausgesetzt.