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Verstorbener stern-Fotograf: Mischa Moldvay – ein Auge für die Schwachen der Gesellschaft

Der Fotograf Mihály Moldvay, den beim stern alle nur „Mischa“ nannten, dokumentierte für uns jahrzehntelang das Weltgeschehen – und hatte ein großes Herz für die Schwachen. Nun ist Moldyay verstorben. Ein Nachruf. Und seine besten Bilder.

Die Szene spielte sich am Ende einer der vielen Diskussionen ab, die beim stern früher durchaus hart ausgefochten wurden, irgendwann in den 80er Jahren. Es ist nicht überliefert, um was genau es ging. Sehr wohl aber erinnern sich Kollegen, dass stern-Fotograf Mihály Moldvay deutlich zum Ausdruck brachte, dass er anderer Meinung war als der damalige Chefredakteur.

Mischa, wie er von allen genannt wurde, stand auf, um das Chefbüro zu verlassen, doch bevor er ging, sagte er: „Wenn wir in Serbien wären, würde ich jetzt eine Pistole auf den Tisch legen.“

Mihály Moldvay stammte als der serbischen Provinz Vojvodina, Heimat der ungarischen Minderheit im damaligen Jugoslawien. Zeitlebens ist er ein Kind des Balkans geblieben – impulsiv, sentimental, mitunter schwermütig, kämpferisch und durchaus auch heißblütig. Zum Schusswechsel kam es damals natürlich nicht: Moldvay hatte keine Waffe – und der Chefredakteur auch nicht den Gedanken, ihn zu feuern. Denn Mihály Moldvay war längst einer der großen Fotografen des stern. Auch, weil er seine Herkunft nie verleugnete, sondern authentisch war. „Ich bin Zigeuner, ich darf Zigeuner sagen“, sagte er oft. „Ich bin mit Zigeunern aufgewachsen. Das waren alles meine Freunde.“

Mit Zigarre, umringt von Mikrofonen: der damalige Außenminister Walter Scheel 1969
© Mihály Moldvay

Moldvay hatte eine Lehre als Kfz-Mechaniker hinter sich, als er 1962 mit der ersten Generation von Gastarbeitern nach Deutschland kam. Er wollte in Hamburg Maschinenbau studieren, teilte sich mit weiteren sechs Neuankömmlingen aus der Türkei eine winzige Bleibe. Als er in der U-Bahn eine Anzeige für eine Ausbildung zum Fotografen sah, bewarb er sich spontan, ohne jemals zuvor eine Kamera in der Hand gehalten zu haben. Als er seine ersten Fotoapparat dann sein Eigen nannte, beherzigte er den Rat der türkischen Mitbewohner, er solle Bilder von sich in die Heimat schicken. Er besorgte sich einen Anzug, Schuhe aus Kroko-Leder-Imitat und posierte vor dem Hotel Atlantic, einen Fuß auf die Stoßstange eines Opel Kapitän. Dann ließ er sich ablichten.

Ein Herz für Osteuropa

Als er Jahre später nicht mehr nur Bilder in die Heimat schickte, sondern mit seiner Frau Inge selbst dorthin fuhr, war er ein gemachter Mann. „Wenn Du Geld hast“ fragten seine Freunde dort, halb im Ernst, halb im Scherz, „warum fährst Du denn ein Auto, das nicht einmal ein Dach hat?“

Das Jahrzehnt des deutschen Terrors: 1975 besetzt ein RAF-Kommando die Deutsche Botschaft in Stockholm. Zwei der zwölf Geiseln werden erschossen, die anderen können nach einer Sprengstoffexplosion fliehen
© Mihály Moldvay

Tatsächlich war er in den 70er Jahren – nach Anfängen als Fotograf beim „Hamburger Abendblatt“ – längst einer der Großen der Szene und für den stern rund um den Globus unterwegs. Seine Wohnung hing voll mit Fotos, die er von überall her mitgebracht hat. Sie zeigten Fischer in Grönland, Popkonzerte in Russland, Kinder in Ghana, drogensüchtige Minderjährige am Bahnhof in Bukarest. Auf ein Bild mit Strommasten und einem vereinzelten Baum war er besonders stolz. Der stern hatte es zwar nie gedruckt. „Aber 1984 wurde es zum World-Press-Foto in der Sparte Natur gewählt“, erzählte Mischa Besuchern stolz – und beobachte mit zusammengekniffenen Augen die Reaktion auf die Anekdote. 

Ein Baum, unzählige Strommasten: Mit diesem Foto, das den Gegensatz zwischen Natur und Technik illustriert, gewann Moldvay 1984 den World Press Award in der Sparte Natur
© Mihály Moldvay

Sein Spezialgebiet aber war der Balkan und der damalige Ostblock: Mit seinem jugoslawischen Pass konnte er auch vor dem Fall der Mauer in all diese Länder problemlos einreisen. Und er blieb dabei, weil er sich dort einfach am wohlsten fühlte. Er sprach etliche der dort gebräuchlichen Sprachen, zumindest für den Hausgebrauch. Er war gut vernetzt. Und vor allem: Er hatte ein Herz für die Menschen im Osten, unter denen er viele Freunde gefunden hatte. Einmal, so erinnert sich ein stern-Autor, blieb er mit Moldvay nachts mit einer Autopanne in der rumänischen Walachei hängen. Sie klopften an der Tür eines Bauernhofs. Die Frau, die heraustrat, fiel dem Fotografen strahlend um den Hals: „Mischa, mein Freund, was machst Du denn hier?“ 

Ein Stück Zeitgeschichte – das ins Heute reicht: Der frisch gewählte niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht präsentiert 1976 Familie und Haustiere. In der Mitte, links neben ihrem Vater, seine Tochter Ursula – die heute als Ursula von der Leyen der EU-Kommission vorsteht
© Mihály Moldvay

Zusammen mit dem Autoren Kai Hermann berichtete er häufig von den Balkankriegen. Zwischen den beiden entstand eine enge Freundschaft. „Er hatte ein Herz für Opfer. Die Schicksale gingen ihm nah. Er konnte auch weinen“, sagt Hermann. „Und man konnte sich zu 100 Prozent auf ihn verlassen.“ Hermann beschreibt den Kollegen „als bedächtig furchtlos“. Mischa Moldvay sei keiner gewesen der „unkalkulierbare Risiken einging.“ Auf Luxus habe er keinen Wert gelegt, die Hauptsache sei für ihn gewesen, nah dran zu sein. „Er war mehr als nur Fotograf. Er war Co-Autor. Er hat sich mit Leib und Seele in die Geschichten hineinversetzt und Anteil genommen“, sagt Hermann. Mitunter sei Mischa so ergriffen gewesen, dass er vergessen habe, auf den Auslöser zu drücken. Er mochte nicht jeden. Aber wen er einmal in sein Herz gelassen hatte, der hatte Glück. Sein Herz, so sagen manche, war so groß wie das Meer.

Kinder, die in Schließfächern leben – aus einer stern-Reportage über Obdachlose in Bukarest 1991
© Mihály Moldvay

Kai Hermann, bekannt geworden durch sein Buch über Christiane F. und die Kinder vom Bahnhof Zoo, schwärmt von Moldvays Talent zu recherchieren, sich zu vernetzen, das Vertrauen einflussreicher Gesprächspartner zu gewinnen. Mit seinen Kontakten schaffte er es, dass 2000 im Ungarischen Nationalmuseum eine Fotoaustellung gezeigt wurde – die erste an diesem Ort. Sämtliche stern-Fotografen konnten dort ihre jeweils wichtigsten Bilder zeigen.

stern-Autor Heiko Gebhardt, der früher auch als Korrespondent aus der ungarischen Hauptstadt Budapest berichtete, erinnert sich, wie Moldvay auflebte, wenn er im Land seiner Vorfahren war. In Ungarn war er eine Legende. „Dort bekam er einen tänzelnden Schritt“, sagt Gebhardt. Wenn Mischa Moldvay zum ihm ins Hotel gekommen sei, habe die Kapelle jedes Mal das „Lied vom traurigen Sonntag“ spielen müssen. „Das hat ihn glücklich gemacht“, sagt Gebhardt. Und: „Unter Hamburg hat er gelitten“ – obwohl die Stadt für ihn einst eine magische Anziehungskraft gehabt hatte, weil er den Namen schon als kleiner Junge immer wieder bei den Nachbarn im Radio gehört hatte.

„Ich muss zwischen Menschen sein“

Moldvay blieb für den Rest seines Lebens in Hamburg – auch, weil ihm der stern dort ein Leben als Vagabund ermöglichte. 35 Jahre lang war er im Auftrag des Magazins mit seiner Kamera unterwegs. Später, längst im Ruhestand, sagte er: „Mir fehlt das Reisen, das draußen sein, immer unter Menschen. Ich muss zwischen Menschen sein, ich muss kommunizieren. Am liebsten wäre ich jetzt in Syrien oder Ägypten.“ 

Das war der Gipfel: Demonstranten in der Nähe von Bad Doberan anlässlich der G-8-Treffens in Heiligendamm
© Mihály Moldvay

So aber kommunizierte er über seine Bilder, die er über die Jahre gesammelt hat. Sie hängen oder hingen in zahlreichen Hamburger Cafés, in Ausstellungen, die mitunter schon mal in einem leerstehenden, vierstöckigen Haus stattfanden, ausstaffiert mit Koffern von Aussiedlern. An die Fassade hängte Moldvay dann ein Plakat: „Dieses Haus ist besetzt.“ 

Vor allem aber kommunizierte Mihály Moldvay mit Menschen, an denen die meisten nur naserümpfend vorbei gehen. Aufopfernd kümmerte er sich unter anderem um die Obdachlosen, die im Wehbers Park an der Hamburger Emilienstrasse ihre Bleibe aufgeschlagen hatten. Einmal in der Woche besuchte er sie mit seinem Fahrrad. Auf dem Gepäckträger hatte er eigens eine Vorrichtung für seinen großen Suppentopf montiert, in dem er den Parkbewohnern bei jedem Wetter seine selbstgekochte serbische Bohnensuppe vorbeibrachte.

Ihr Schicksal ging ihm nah: Mihály Moldvay versorgt Obdachlose in Hamburg mit serbischer Bohnensuppe, im Hintergrund stern-Autor Kai Hermann
© Privat

Bohnensuppe – das war für ihn das verbindende Element. Bohnensuppe, die gab es auf jeder Party, die er in seinem Leben veranstaltete. Nur bei der Vernissage, die eine junge Karikaturistin ein knappes Jahr vor seinem Krebstod für ihn veranstaltete, fehlte sie, als ob das schon ein Zeichen sei. Mihály Moldvay musste dazu gedrängt werden, ein paar Worte zu sagen. Dann sprach er herzergreifend. „Ich habe dem stern viel zu verdanken. Ich habe durch den stern viel gesehen und viel gelernt“, sagte er. „Aber es war auch nicht immer meine Welt. Mir war vieles zu glatt, zu elegant, zu teuer.“ 

 wurde 83 Jahre alt. Er hinterlässt eine Tochter und zwei Söhne.

Wer wie Mihály Moldvay Obdachlose in Hamburg unterstützen möchte: 
„Mitternachtsbus der Obdachlosenhilfe“ 
Diakonie-Stiftung MitMenschlichkeit Hamburg
IBAN: DE76 2005 0550 1230 1432 55