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Bauernprotest: Was schiefläuft in der Landwirtschaft – aus der Sicht eines Bio-Bauern

Mathias von Mirbach betreibt die solidarische Landwirtschaft Kattendorfer Hof in der Nähe von Hamburg. Auch er ist von den Sparplänen der Bundesregierung betroffen. Seine Sorgen aber sind andere.

Viel Zeit hat er jetzt nicht mehr, so ein Hof macht sich nicht von allein. Aber die Tiere, die zeigt er schon noch. Mathias von Mirbach geht mit ruhigen Schritten über den Hof, der gefrorene Schnee knirscht unter den Schritten. Im langgezogenen Stallgebäude liegen Kühe auf einer dicken Schicht aus Mist. „Ammenkühe“, sagt der Bauer, „sie säugen die Kälber, die zwischen ihnen liegen.“ Unter den Dachbalken pfeifen die Spatzen, als wäre es Frühling geworden. Sonst ist es ruhig auf dem Kattendorfer Hof, während nicht weit entfernt Trecker den Verkehr blockieren. 

Überall im Land demonstrieren Landwirtinnen und Landwirte gegen die Kürzungen von Subventionen. Auch Mathias von Mirbach hat einen Trecker auf die Wiese am Dorfeingang gestellt, an dem ein Transparent hängt mit der mahnenden Frage: „Opa, was ist ein Bauernhof?“ Sein Protest ist ein stiller. 

Bauernproteste aus Sicht solidarischer und ökologischer Landwirtschaft

Er wirtschaftet anders als die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen, nämlich solidarisch und ökologisch, dennoch ist auch sein Hof, der Kattendorfer Hof, von den Sparplänen der Bundesregierung betroffen. Mathias von Mirbach trägt Jeans, Wollpullover und Fleecejacke. 1998 hat er die solidarische Landwirtschaft gegründet, als nur wenige wussten, was das ist. Zusammen mit 80 Mitarbeitenden bewirtschaftet er knapp 450 Hektar, kümmert sich um Schweine und Kühe, um Felder und die Gärtnerei. Der nach Demeter-Richtlinien geführte Betrieb wird von den Mitgliedern finanziert. Mal sind es um die 950, mal 1000. Sie legen sich mit ihrer Mitgliedschaft fest auf ein Jahr und zahlen für den vollen Ernteanteil 226 Euro pro Monat. Außerdem werden die Produkte in sieben Hofläden angeboten.

Katha Dungworth ist Geschäftsführerin und Personalmanagerin auf dem Kattendorfer Hof, wo sie seit mehr als zehn Jahren mit ihrer Familie lebt.
© Lisa Frieda Cossham

Von Mirbach führt vorbei am langgezogenen Backsteingebäude, in dem die hofeigene Käserei untergebracht ist, hinüber ins Büro, wo Katja Dungworth wartet. Die 42-Jährige leitet wie er die Geschäfte und kümmert sich ums Personal, seit mehr als zehn Jahren lebt sie mit ihrer Familie auf dem Hof. Zwischen Rechnern und warmgesessenen Stühlen nun die Frage: Was macht die Bäuerinnen und Bauern so wütend? Und warum sind Sie eigentlich nicht auf ihren Treckern, wäre das nicht solidarisch? „Nicht mehr möglich seit dem Vorfall mit Habeck“, antwortet Mathias von Mirbach. Als der Wirtschaftsminister von wütenden Protestlern daran gehindert wurde, in Schlüttsiel eine Fähre zu verlassen. Von Mirbach findet die Vorstellung bedrohlich, zwischen Menschen zu protestieren, die gewaltbereit sind.

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Und doch kann er sie verstehen, die Wütenden, ihnen fehle es an Wertschätzung und Anerkennung. Auch den Kattendorfer Hof treffen die geplanten Streichungen der Dieselsubventionen: Würden Kraftfahrzeugsteuern auf seine landwirtschaftlichen Fahrzeuge erhoben und die Preise für Co2-Emissionen angehoben, so käme der Hof auf Mehrkosten von 16.000 Euro pro Jahr. 

Bei einem Umsatz von etwa 1,6 Millionen wäre das ein Prozent weniger Einnahmen, die sich mit acht neuen Mitgliedern auffangen ließen. Im Vergleich zu anderen Großbetrieben ein kleines Minus. Größere Sorgen machen sich von Mirbach und Dungworth um die Landwirtschaft an sich, um die Bürokratie und den Frust, der sich nun landesweit zeigt. „Die Bäuerinnen und Bauern fühlen sich allein gelassen von der Politik“, sagt von Mirbach, „sie fühlen sich gegängelt.“ Auch er.

Mathias von Mirbach, 65, betreibt seit 38 Jahren biologisch-dynamische Landwirtschaft. 1998 hat er die solidarische Landwirtschaft Kattendorfer Hof gegründet.
© Lisa Frieda Cossham

Seit 38 Jahren arbeitet der Landwirtschaftsmeister biologisch-dynamisch, daran hat sich nichts geändert; bis auf die Kontrollen, die immer dichter werden. Die Auflagen. Das Kleingedruckte, das über den Bildschirm seines Rechners in den Hofalltag sickert. „Als stünden wir permanent unter Generalverdacht“, sagt von Mirbach. Obwohl er düngt wie immer, muss er nun jedes Feld einzeln protokollieren und die Daten im Netz hochladen. Dungworth erinnert sich an Kontrollen, in denen Spinnweben oder eine Fliege dokumentiert werden sollte: „Tragen Sie die bitte auf dem Raster ein, hieß es“, sagt die Landwirtin. 

Auch muss jede Tierbewegung von Rindern aufgezeichnet werden: Wird ein Jungtier auf die Weiden im Nachbarkreis gebracht, wo sich die zweite Hofstelle befindet, muss Tiernummer und Zielort registriert werden. Jedes Tier hat eine digitale Akte, die zu pflegen ist. Sie haben inzwischen eine Mitarbeiterin angestellt, die sich nur um Nachweise und Kontrollen kümmert. Diese Arbeit beansprucht 1000 Stunden im Jahr, schätzt von Mirbach. Wie sollte ein familiengeführter Betrieb diese Anforderungen stemmen, ohne daran zu verzweifeln? 

Sorgen aber bereiten Katja Dungworth und Mathias von Mirbach nicht nur Behörden, sondern auch Unternehmen wie Edeka, Aldi, Lidl und der Schwarz-Konzern. Als die größten Bio-Händler bezeichnen sie sie. Seit zwei, drei Jahren sei diese Konkurrenz spürbarer und zeige, dass Lebensmittel immer noch nicht ausreichend wertgeschätzt würden. 

Im Vergleich zu anderen Industrienationen geben die Deutschen am wenigsten Geld für Nahrung aus, im Schnitt zehn Prozent ihres verfügbaren Einkommens. In Frankreich sind es 15,2 Prozent, in Spanien 20,6. Während der Pandemie schien es, als fänden die Deutschen zu einer neuen Haltung: Sie gaben mehr Geld für Essen aus, achteten darauf, sich gut zu ernähren. „Aber diese Idee,“ sagt von Mirbach, „ist wieder in den Hintergrund gerückt. Die Mitgliederzahlen sind um zwei Prozent gesunken. Der Umsatz der Hofläden ist teilweise um 20 Prozent eingebrochen.“ 

Auf dem Kattendorfer Hof leben Angler Sattelschweine, die zur Rasse des Hausschweins gehören. Mit 130 Kilo werden sie zur 15 Kilometer entfernten Schlachterei gefahren.
© Lisa Frieda Cossham

Die Angst der Menschen ist es, die Mathias von Mirbach am meisten beschäftigt. Mitglied einer solidarischen Landwirtschaft zu sein bedeutet sich festzulegen, zumindest für ein Jahr. „Aber die Leute“, sagt der Landwirt, „gucken erst mal nur auf den nächsten Monat. Sie halten die Groschen zusammen.“ Auch Katja Dungworth hat beobachtet, dass in unsicheren Zeiten eher Geld für Reisen ausgegeben wird als für den Einkauf. Obwohl wir immer bewusster leben, scheint das Gute doch immer noch etwas anderes zu sein als biologische Lebensmittel. 

Warum? „Für mich ist Landwirtschaft im höchsten Maße politisch“, sagt von Mirbach, „und dazu gehören auch die Preise der Lebensmittel.“ Er spricht von der Agrarreform 1992, als die Preisgestaltung dem Weltmarkt angepasst und Subventionen eingeführt wurden, die er als Kompensationen versteht: „Wir bräuchten die nicht, wenn die Lebensmittelpreise höher wären“, sagt er. „Die Landwirtschaft ist ein Spielball der Gesamtwirtschaft.“ 

Sie werden von Ammenkühen aufgezogen: Kälber im Stall auf dem Kattendorfer Hof bei Hamburg.
© Lisa Frieda Cossham

Aber haben die Bäuerinnen und Bauern nicht Rekordgewinne eingefahren? Hat die Branche sich in den vergangenen 30 Jahren vielleicht daran gewöhnt, immerzu subventioniert zu werden und die Verantwortung auszulagern? „Rekordgewinne einzelner waren es“, antwortet von Mirbach, „die Branche ist heterogen.“ In Süddeutschland gibt es viele Nebenerwerbsbetriebe, kleinere Hofstellen. Große Betriebe sind vor allem im Osten und im Norden des Landes zu finden. Immer weniger Menschen bewirtschaften immer größere Höfe. Mit 35.000 Euro Betriebsentnahmen jährlich zählt von Mirbach nicht zu den reichen Bauern. Reich würden die, die sich nach dem Markt richteten. 

Also Weizen anbauen, wenn Weizen gut läuft. Raps, wenn Raps gefragt ist. Auf dem Kattendorfer Hof gibt es keine Monokulturen, stattdessen vielfältige Fruchtfolgen. Der Betrieb ist die größte Vollversorger-Solawi in Europa. Das bedeutet, dass die Mitglieder neben Gemüse auch Fleisch und Milchprodukte erhalten. Von Mirbach ist überzeugt, dass auch andere Bauern ökologisch wirtschafteten, wenn man ihnen die Abnahme ihrer Erzeugnisse garantierte.  Bauern-Proteste: Wie stehen die Parteien dazu8.28

Stille ist eingekehrt in den Nebenzimmern, wo eben noch Teller klapperten. Die Mittagspause ist vorbei, jetzt sollen die Tiere besucht werden. Die Kälber zuerst, dann geht es rüber zum Schweinestall. In einer Box schlafen drei schwarzweiße Angler Sattelschweine aneinander gedrängt, in anderen trippeln sie aufgeregt umeinander, stupsen sich an, grunzen. 

Schwer vorstellbar, dass hier jemand Spinnweben kontrolliert. Fliegen moniert. Fern scheinen die europäische Agrarpolitik, die Richtlinien, Verbote und Kürzungen. Die Wut, der Protest. Die Profitgier mancher, die Verzweiflung vieler, die Angst. Auf dem Rückweg geht es über friedliches Land, vorbei an Maisstoppeln, die wie dünnes Haar aus der Schneedecke ragen. Doch hinter Kaltenkirchen staut sich der Verkehr. Hupende Trecker ziehen vorbei: „So“, steht auf Pappe, „geht es nicht weiter.“